Kriterien für den Tragwerksentwurf im peri-urbanen Raum
Ein wesentlicher Aspekt des peri-urbanen Raumes scheint eine starke Dynamik in der Veränderung von Gebäude- bzw. Flächennutzungen. Innerhalb einer Dekade können an einem Ort unvermittelt Transformationen zwischen unterschiedlichsten Funktionen, wie etwa Tankstellen, Supermärkten, Fitnessstudios, Büro- und Wohnbauten stattfinden.
Um nun die Eignung von Bauweisen für diesen dynamischen Raum einzuschätzen, könnte man unterschiedliche Gebäudetypologien mit den in Verbindung stehenden Bauweisen und die jeweils bevorzugten Materialien in Abhängigkeit der regionalen Bauindustrie untersuchen. Welche Bausysteme werden bevorzugt für temporäre Zwischennutzungen verwendet? Werden im Raum Graz hauptsächlich Gewerbebauten in Stahlskelettbauweise umgesetzt, während im Wohn- und Bürobau der Skelettbau aus Stahlbeton vorherrscht? In Summe könnte man versuchen, in Diagrammen die Qualität der einzelnen Systeme in Hinblick auf deren Vorbau-, Rückbau- und Umbaumöglichkeiten in Verbindung mit deren üblichen Nutzungsdauer darzustellen.
Der Entwurf eines Tragwerks wird von zahlreichen Faktoren, wie etwa dem allgemeinen Bauwerkskonzept, dem Tragsystem, der Materialität, der Nutzung, den gesetzlichen Normierungen und den ästhetischen Vorstellungen beeinflusst. Letztlich müssen in einer Bemessung die Tragfähigkeit und die Gebrauchstauglichkeit bzw. die zulässige Verformung nachgewiesen werden. Dabei wird in einer Gleichung der Widerstand des Tragwerks in seiner Materialität und Tektonik gegenüber den Beanspruchungen durch unterschiedlichste Last- bzw. Krafteinwirkungen betrachtet. Bevor jedoch tatsächlich die Performance eines Systems berechnet wird, führen in der Regel die Anwendung von Faustformeln und abstraktere Überlegungen auf der Prinzipienebene zum Tragwerksentwurf. So gibt es beispielsweise bestimmte Konstruktionsarten und Bauweisen, die mit einem bestimmten Katalog von Eigenschaften verbunden sind. Über die Kenntnis dieser Kategorisierungen können Entwerfer auf Merkmale schließen und vorab die grundsätzliche Eignung für die Bauaufgabe bzw. den Entwurf überprüfen.
Demzufolge verrät die im Projekt ins Auge gefasste modulare Bauweise zunächst vorwiegend etwas über die geometrischen Qualitäten, die im Allgemeinen für eine standardisierte und wirtschaftliche Produktion von Vorteil sind. Dies bedeutet, dass in den Überlegungen wahrscheinlich festgelegte Modul-Einheiten mit definierten Abmessungen in einem Rastersystem miteinander in Beziehung gebracht werden. Einzelne Module besitzen definierte Spannweiten und Verbindungspunkte und lassen sich vervielfältigt zu einem Gesamtsystem fügen. Aus tragwerksplanerischer Sicht liegen die Herausforderungen tendenziell in der Auslegung der Verbindungsdetails zwischen den Modulen. Um jedoch die Eignung einer Modulbauweise für die Bebauung von Restflächen im peri-urbanen Raum näher zu betrachten zu können, sind noch zu viele Entwurfsparameter offen. Für welche Abmessungen und Kombinationsvarianten und Nutzungen sollen die Module ausgelegt werden? Wird die Infrastruktur oder Gebäudetechnik in jedes Modul integriert? Gibt es unterschiedliche Modultypen oder gibt es einen festen Infrastruktur-Kern in einer größeren Gesamtstruktur?

Walter Jonas: Raumstadt - Heinsrich Klotz: Vision der Moderne